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Auftaktveranstaltung der Bezirksarbeitsgemeinschaft Hannover

Aktionstag am 3. November 2018 in Sulingen

Wie barrierefrei sind Bus und Bahn in den Landkreisen Diepholz und Nienburg?

Zu diesem Thema hatten die SoVD-Kreisverbände Diepholz und Nienburg im Rahmen der landesweiten Kampagne „Ich bin nicht behindert. Ich werde behindert.“ am 3. November 2018 ab 10.00 Uhr zu einer Podiumsdiskussion in das Foyer des Berufsbildungszentrums in Sulingen eingeladen.

Bruno Hartwig, SoVD-Vorsitzender des Kreisverbandes Diepholz und Sprecher der Bezirksarbeitsgemeinschaft (BZA) Hannover, begrüßte neben SoVD-Mitgliedern auch Vertreter aus Politik und Verwaltungen, insgesamt über 180 Gäste. Er bekräftigte die Position des SoVD: „Eine umfangreiche Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ist nicht verhandelbares Menschenrecht.“

Stellvertretend für die Bezirksarbeitsgemeinschaft Hannover hatten SoVD-Mitglieder der beiden Landkreise im August und September mit Hilfe eines Fragebogens nach der Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gefragt.

Ortwin Stieglitz, Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses des SoVD-Kreisverbands Diepholz, stellte die Beweggründe für die Kampagne und die Aktion vor Ort vor:

„In Niedersachsen leben 1,4 Mio. Menschen mit Behinderungen. Davon sind 800.000 als schwerbehindert anerkannt. Verschiedene Barrieren behindern diese Menschen an der mit Nichtbehinderten gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft. Kurz: Für den SoVD ist die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Männern, Frauen und Kindern in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen unverrückbare Zielsetzung und der Einsatz hierfür ist ständige Aufgabe. Es geht um Inklusion, um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Wir hören immer wieder von unseren Mitgliedern, wo beim ÖPNV der Schuh drückt. Um den Dingen besser auf den Grund zu gehen, wurde ein Fragebogen entwickelt.

Der Fragebogen erfasste zunächst die Mobilität mit Fragen nach Art der Fortbewegung, nach schwer erreichbaren Zielen und nach dem vorhandenen ÖPNV-Angebot. Dann wurde nach Barrieren gefragt, die eine Nutzung des ÖPNV erschweren. Ein Teil der Fragen konnte durch Ankreuzen beantwortet werden, zu anderen Fragen waren freie Formulierungen möglich.

Am 4. August 2018 startete die Kampagne in der Syker Innenstadt. Mit Unterstützung vieler Helferinnen und Helfer aus den Ortsverbänden kamen am Ende etwa 1.000 ausgefüllte Fragebogen zusammen, die anschließend ausgewertet wurden. Die Antworten geben einen guten Überblick darüber, an welchen Punkten es noch Probleme gibt und was dringend angepackt werden muss.“

Das Ergebnis fasste Ortwin Stieglitz so zusammen:

„In unseren ländlichen Landkreisen ist ein Drittel der Befragten mit dem eigenen PKW unterwegs, Busse und Bahnen liegen bei ca. 18%. Man ist häufig auf Nachbarn und Familienangehörige angewiesen. Nicht jeder kann Wege zu Fuß oder mit dem Rad erreichen.

Durch unsere ländliche Struktur konzentrieren sich erreichbare Ziele auf die Mittelzentren. 60% halten das bestehende ÖPNV-System für nicht ausreichend. Zwei Drittel empfingen den ÖPNV als nicht barrierefrei. 85% nutzen den ÖPNV nicht oder selten. 44% beklagen sich über mangelnde Angebote bzw. zu hohe Kosten.

Lange Wege zu den Haltestellen, ungeschützte Haltestellen, schlechte Einstiegsmöglichkeiten, fehlende oder defekte Fahrstühle an Bahnhöfen, lange Wartezeiten, ÖPNV nur über den Schulbusverkehr sind nur wenige festgestellte Barrieren. Positiv, aber zu wenig, sind in einzelnen Gemeinden Bürgerbusse oder Anrufsammeltaxen oder ein einzelnes Wochenendangebot.“

Die umfassenden Ergebnisse der Auswertung zur Befragung „Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr" erhielt jeder Gast in Form einer Dokumentation.

Nach dem musikalischen Empfang durch das Duo „Arrested Amtsbrüder“ berichtete Günter Gerdes aus Diepholz zum Auftakt anschaulich von seinen Problemen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wenn er mobil sein wolle, sei er auf seine Tochter angewiesen, die ihn mit dem Auto zu seinen Zielen bringe. Die Inanspruchnahme des ÖPNV sei für ihn keine Option. „Als Rollstuhlfahrer kann ich ihn nicht nutzen“, stellte er fest.

Auf Basis der Auswertung zur Befragung moderierte Anke Seidel, Redaktionsleiterin bei der Kreiszeitung Syke, die Podiumsdiskussion mit Kreisrätin Ulrike Tammen, MdL Volker Meyer und Christof Herr, dem Geschäftsführer des Zweckverbands Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen.

Die Teilnehmer äußerten sich zu Fragen nach einem besseren Angebot in der Fläche, zu verbesserter Barrierefreiheit und zu ergänzenden Mobilitäts-Systemen.

Es besteht dringender Handlungsbedarf. Christof Herr betonte, dass seit Jahren an der Verbesserung des ÖPNV gearbeitet wird und mittlerweile immerhin alle Linien der Bedienungsebenen 1 und 2 mit Niederflurbussen ausgestattet seien. Er räumte aber auch ein, dass das Ziel lange noch nicht erreicht ist.

Christof Herr wünschte sich, dass Angebote ausreichend angenommen werden und die Fahrgäste auch einmal ihr Mobilitätsverhalten überdenken. Neue Angebote werde es wegen fehlender Kostendeckung nur mit Ausgleichszahlungen der öffentlichen Hand geben.

Mit der Frage nach Zuschüssen zu Taxifahrten leitete Anke Seidel zu Volker Meyer über. Der Landtagsabgeordnete sah hierin eine mögliche Lösung zur Verbesserung der Mobilität, führte aber finanzielle Bedenken an und geht davon aus, dass nicht jedes Dorf an den ÖPNV angeschlossen werden kann. Als ergänzendes Angebot in den Randbereichen sieht er Systeme wie Bürgerbus oder Anrufsammel-Taxi an.

Anschließend war oft vermisste Hilfe bei der Benutzung des ÖPNV Thema. Sollten möglicherweise Busfahrer im Umgang mit Behinderten geschult werden? Ulrike Tammen mahnte ein allgemeines gesellschaftliches Umdenken an. Jeder Einzelne solle seine Haltung überprüfen, sonst sei der Prozess der Inklusion zum Scheitern verurteilt.

Fragen aus dem Publikum galten Themen wie Vandalismus, Anschlusssicherung zwischen Bahn und Bus oder dem Projekt „365-Euro-Ticket“. „Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erfordert Zeit, Geld und Perspektivwechsel“, fasste Anke Seidel das Ergebnis der Diskussion zusammen. Der SoVD werde das Gespräch mit Verwaltung, Politik und Verkehrsbetrieben suchen und weiterhin für Teilhabe streiten, versprach Ortwin Stieglitz.